06.05.2025

Protektionismus 2.0 oder eine historische Chance für Europa?

von Alice Albizzati & Nirwan Tajik (Revaia)

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Als Präsident Trump den 2. April zum „Tag der Befreiung“ erklärte, hatte kaum jemand in Europas Techsektor damit gerechnet, plötzlich an vorderster Front eines globalen Handelskonflikts zu stehen. Die Maßnahme wurde zunächst vor allem als Angriff auf klassische Industriegüter gewertet. Doch was als Handelskrieg über physische Produkte begann, droht nun, eine zweite – weniger sichtbare – Front im digitalen Raum zu eröffnen – mit weitreichenden Folgen für europäische Technologieunternehmen. 

Während europäische Entscheidungsträger an einer Antwort arbeiten, stehen auch Maßnahmen gegen US-Techunternehmen zur Debatte – von selektiven Dienstleistungsbeschränkungen bis hin zu Digitalsteuern. 

Die Gefahr solcher Vergeltungsmaßnahmen liegt jedoch darin, dass Europas digitale Infrastruktur – von Cloud über KI-Tools bis hin zu Kapital – weiterhin stark von US-Anbietern abhängt. 

Innerhalb der EU ist man sich über digitale Gegenmaßnahmen uneins. Doch gerade gezielte Angriffe auf US-Techriesen könnten erheblichen Kollateralschaden im europäischen Ökosystem anrichten. 

Anstatt auf Strafmaßnahmen zu setzen, glauben wir: Jetzt ist der Moment, in dem Europa gezielt in seine technologische und finanzielle Infrastruktur investieren muss, um echte digitale Souveränität zu erreichen. 

Die direkten Folgen eines Handelskriegs für Techunternehmen sind bereits absehbar

Sollten US-Zölle tatsächlich greifen, wären Hardware-nahe Startups zuerst betroffen – aber auch Softwareunternehmen blieben nicht verschont. Besonders gefährdet sind Unternehmen, die stark auf KI-Compute, Cloud-Services oder SaaS aus den USA setzen: Dies Dienstleistungen sind hardwareintensiv – Hardware, die zukünftig empfindlichen Zöllen ausgesetzt sein könnte 

Zahlreiche europäische Firmen wissen, dass Preisanpassungen bei US-Hyperscalern wie AWS, Google Cloud oder Microsoft Azure direkt ihre Margen und Geschäftsmodelle beeinflussen würden. 

Während die operativen Kosten kurzfristig stabil bleiben könnten, steigen die Umsatzkosten deutlich: Sollte eine 25-prozentige Halbleiter-Abgabe kommen, träfe sie zunächst die hardwareintensiven US-Anbieter – und danach deren Kunden. Diese Kosten würden weitergegeben und europäische Bruttomargen spürbar belasten. 

Eine Eskalation durch Gegenzölle würde Europa selbst treffen

Es mehren sich Forderungen, gezielt den US-Techsektor zu treffen – doch das wäre wirtschaftlich kurzsichtig. 

Europa bezieht nicht nur Software aus den USA, es ist davon abhängig: 2023 betrug das Handelsbilanzdefizit der EU gegenüber den USA im Dienstleistungsbereich 108 Milliarden Euro – ein Großteil davon entfiel auf digitale Dienste, Cloud-Infrastruktur und Unternehmenssoftware. 

Für diese kritischen Komponenten gibt es derzeit schlicht keine gleichwertigen Alternativen: kein europäisches AWS, kein Nvidia, kein umfassendes Set an KI-Entwicklungswerkzeugen. 

Im Gegensatz zu physischen Gütern – etwa Elektroautos aus China – existiert kein diversifizierter Weltmarkt für hochspezialisierte digitale Angebote. Eine Eskalation in diesem Bereich würde keine Verhandlungsmasse schaffen – sondern Europas strategische Verwundbarkeit offenlegen. 

Eine alternative Strategie

Erfreulicherweise werden auch konstruktive Ansätze diskutiert: Der eskalierende Handelskonflikt verdeutlicht die Dringlichkeit echter digitaler Eigenständigkeit. 

Stimmen wie EZB-Präsidentin Christine Lagarde, France Digitale oder der Startup-Verband fordern zu Recht: Europa muss bei Infrastruktur, Kapital und Regulierung unabhängiger werden – nicht durch Abschottung, sondern durch gezielten Aufbau. 

Europa muss es deutlich einfacher und sicherer machen, global zu skalieren – ohne zwischen die geopolitischen Fronten zu geraten. 

Auch lange verschleppte Projekte müssen jetzt vorgezogen werden: etwa die Reform von Solvency II, um Kapital aus Versicherungen und Pensionsfonds zu mobilisieren, oder die Kapitalmarktunion – ein Projekt, das trotz breiter politischer Zustimmung bisher erschreckend wenig Fortschritte gemacht hat. 

Ein fragiles Gleichgewicht – und ein Aufruf zur Resilienz

Die ersten Schüsse eines möglichen globalen Handelskriegs sind gefallen. Doch wie es weitergeht, ist unklar. 

Für Europa liegt das größere Risiko nicht in Washingtons nächstem Schritt, sondern in der eigenen Unfähigkeit, mit Klarheit und Geschlossenheit zu reagieren. 

Eine fragmentierte EU, wirtschaftliche Abkühlung und politische Instabilität könnten den Nährboden für Populismus bieten – mit kaum kalkulierbaren Folgen für Kapitalmärkte, insbesondere bei wieder anziehender Inflation. 

Die digitale Wirtschaft kennt keine Grenzen – doch sie ist nun plötzlich verletzlich. 

Europa darf jetzt nicht reaktiv bleiben. Die Zeit für Weißbücher und zaghafte Konsultationen ist vorbei: Wir haben in Europa die Talente und Gründer, um die nächste Welle technologischer Innovation zu ermöglichen – von Cloud- und KI-Infrastruktur über Developer-Tools bis hin zu Unternehmenssoftware. Doch dafür brauchen wir politischen Willen, strategisches Kapital – und einen klaren Fokus auf europäische Resilienz. 

Wir haben Revaia gegründet, um genau diese Gründer:innen in der kritischen Spätphase zu begleiten – und wir investieren mit derselben Überzeugung weiter: für ein stärkeres Europa, das jedem Sturm standhält. 

Europa muss jetzt strategisch und im großen Maßstab handeln, um seine Position in KI, Compute, Verteidigung und Kapital zu sichern. 

Andernfalls wird Europa nicht nur die nächste Phase des digitalen Wettlaufs verlieren – sondern von ihm ausgeschlossen. 

Wenn wir diese Situation als Chance begreifen – und den Mut haben, auf unsere eigenen Fähigkeiten zu vertrauen –, können wir die Infrastruktur, Tools und Plattformen bauen, die global wettbewerbsfähig sind, wenn Märkte sich öffnen – und resilient, wenn sie es nicht tun. 

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