
18.06.2025
Die EU-Inc: Eine neue wahrhaft europäische Unternehmensform als Gamechanger für Europa? EU-Inc als Teil der Startup-Strategie der Kommission
von Dr. Karen Frehmel-Kück, Ann-Kristin Lochmann, Maximilian Vocke (Osborne Clarke)
Stellt Euch vor, es wäre möglich innerhalb von 24 Stunden ein Unternehmen zu gründen und zum Handelsregister anzumelden, für das überall in der EU einheitliche Regeln gelten - vollständig digital, ohne Notartermin und ohne Mindestkapital. Auch könnte diese Rechtsform in allen EU-Mitgliedsstaaten anerkannt sein und es würden einheitliche Regeln für die Mitarbeiterbeteiligung und die Besteuerung gelten.
Das alles könnte durch die Einführung der EU-Inc, einer neuen europäischen Rechtsform, Wirklichkeit werden. Der Vorschlag aus der Start-up-Szene mit Unterstützung von Rechtsanwaltskanzleien wie Cooley, Orrick und Osborne Clarke fand über eine Petition mit dem Titel „EU-Inc Policy Proposal - An industry blueprint for the upcoming 28th regime“ Eingang in das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission, welches am 28. Mai 2025 veröffentlicht wurde. Das 28. Regime, so genannt, da es als einheitliche europäische Rechtsform neben die gesellschaftsrechtlichen Regelungen der 27 Mitgliedsstaaten treten soll, fügt sich ein in die „EU Startup and Scaleup Strategy“, einen Maßnahmenkatalog der Kommission, um die EU für Gründer*innen und Investor*innen attraktiver zu machen.1
Dass an dieser Stelle Handlungsbedarf besteht, zeigen spätestens die Zahlen der EU-Kommission, laut denen lediglich 8% der weltweiten Scale-up-Unternehmen ihren Sitz in der EU haben, während sich 60% dieser Unternehmen in Nordamerika angesiedelt haben.2 Die EU-Inc soll die Marktfragmentierung der EU überwinden und den Binnenmarkt weiter vorantreiben. Zu diesem Zweck soll es unter dem 28. Regime möglich sein, schnell, einfach, kostengünstig und vollständig digital zu gründen und die EU Inc. vollständig digital zu verwalten. Trotz größtmöglicher Flexibilität des Regelungsansatzes soll ein verlässliches, originär europäisches Regelungsangebot für EU Start-ups und Scale-ups geschaffen werden, um als „Standort Europa” wettbewerbsfähig mit den großen Volkswirtschaften der Welt zu sein und um auf diese Weise um vielversprechende Start-ups konkurrieren zu können; um es mit den Worten der EU-Kampagne zu sagen: Choose Europe!
Der Regulierungsvorschlag der Startup-Szene
Beim Thema EU-Inc haben sich Gründer*innen, namenhafte Investor*innen, wie z.B. Index Ventures und Sequoia, sowie mehrere Branchenverbände – darunter auch der Startup-Verband - zusammengeschlossen, um orientiert an den weltweit erfolgreichsten Gesellschaftsformen und gesellschaftsrechtlichen Regelungen, wie z.B. dem Gesellschaftsrecht von Delaware, eine Gesellschaftsform zu erschaffen, die das Beste aller bestehenden Gesellschaftsformen in sich vereint – und vielleicht sogar darüber hinausgeht.3 Der bei der Kommission eingereichte Vorschlag soll nach Vorstellung der Initiatoren als unmittelbar geltende EU-Verordnung ausgestaltet werden und umfasst neben den Kernprinzipien der Unternehmensform, einen Vorschlag für ein EU-ESOP, Vorschläge für eine Vereinfachung der Besteuerung und einer flexibleren Arbeitnehmermitbestimmung.
Kernprinzipien der Unternehmensform
Die rechtliche Struktur orientiert sich an der Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Die EU-Inc ist, wie die deutsche GmbH, eine juristische Person, für deren Verbindlichkeiten die Gesellschafter nicht mit ihrem Privatvermögen haften. Anders als bei der GmbH soll es kein Mindestkapital geben, den Geschäftsanteilen soll jedoch trotzdem ein Nennwert zugewiesen werden können. Weiterhin sollen verschiedene Anteilsklassen mit unterschiedlichen Rechten (z.B. Stimmrechten oder Liquidationspräferenzen) geschaffen werden können. Anders als bei der Societas Europaea (SE) wäre die EU Inc. eine ausschließlich europäische Rechtsform, die im Grundsatz keinen Rückgriff auf das nationale Recht erfordert. Die EU Inc. ist als monistische Gesellschaftsform angelegt, wobei auch ein Aufsichtsorgan eingerichtet werden kann.
Flankiert werden soll die neue Gesellschaftsform von mehreren Werkzeugen, die den „digital first“ Charakter der EU Inc. umsetzen sollen und die, würden sie so oder ähnlich tatsächlich umgesetzt, die EU Inc. deutlich attraktiver als nationale Rechtsformen und wahrhaft “europäisch” gestalten könnten:
EU-Registry: Dies meint ein europäisches Handelsregister, das von einer eigens dafür eingerichteten EU-Behörde vollständig digital geführt wird und über offene Schnittstellen (API) nicht nur eine gänzlich digitale Unternehmensgründung und -verwaltung ermöglicht, sondern den Gründern auch die Abwicklung über Drittanbieter erlaubt. Eine Registrierung im EU-Registry soll hinreichend sein, um sich europaweit gegenüber Banken, Behörden und Dritten auszuweisen.
EU-Dashboard: Hierunter ist eine Plattform als One-Stop-Shop zur Verwaltung des Unternehmens und zur Kommunikation mit dem EU-Registry zu verstehen. Hier können Dokumente wie Gesellschafterbeschlüsse erstellt und hochgeladen oder der Kauf und Verkauf von Geschäftsanteilen abgewickelt werden. Weiterhin könnte auch der Cap Table dargestellt und mit dem EU-Dashboard verschiedene Szenarien für die künftige Beteiligung berechnet werden.
EU-FAST: Gerade frühphasige Start-ups greifen gern auf Wandeldarlehen (CLAs) oder SAFEs zurück, um die Zeit bis zur ersten oder nächsten Finanzierungsrunde zu überbrücken. Oft wird kritisiert, dass CLAs sehr unterschiedlich aussehen, der Verhandlungs- und Verwaltungsaufwand daher relativ groß ist, was gerade im Verhältnis zum beschränkten wirtschaftlichen Umfang misslich ist. EU-FAST (European Union Fast Advanced Subscription Template) soll ein einheitliches Finanzierungsinstrument schaffen, welches nicht zu verzinsen ist und kein Fälligkeitsdatum hat, aber ansonsten wie ein klassisches CLA bei der nächsten Finanzierungsrunde in Geschäftsanteile an der EU Inc. gewandelt wird. Der EU-FAST Text soll dabei unverändert bleiben; Sideletter mit Sonderregeln wären aber denkbar. Gäbe es solche „Finanzierungs-AGB“ mit europaweiter Geltung, würde dies jedenfalls Investments auf europäischer Ebene und mitgliedsstaatsübergreifend deutlich erleichtern und vergleichbarer machen.
Einheitliche Mitarbeiterbeteiligung über EU-ESOP
Für die EU-Inc sollen erleichterte Rahmenbedingungen geschaffen werden, um mit einem standardisierten, rechtssicheren und wettbewerbsfähigen Mitarbeiterbeteiligungsprogramm qualifizierte Talente incentivieren zu können. Das EU-ESOP soll im Falle der Ausübung der Optionen die Ausgabe von echten nicht-stimmberechtigten Geschäftsanteilen an Mitarbeiter*innen ermöglichen und ist vor allem auf Start-ups in der Frühphase und KMU ausgelegt. (Veräußerungs-)Gewinne aus dem Verkauf von EU-ESOP-Anteilen sollen einheitlich als Kapitalerträge anerkannt werden und der Kapitalertragssteuer der jeweiligen Mitgliedstaaten unterliegen. Eine Besteuerung im Zusammenhang mit EU-ESOP-Anteilen soll – entsprechend den Bemühungen Deutschlands rund um die Einführung des § 19a EStG – erst in dem Zeitpunkt entstehen, in dem den Mitarbeiter*innen Liquidität zufließt (dies wird üblicherweise mit dem Verkauf der EU-ESOP-Anteile der Fall sein).
Besteuerung der EU-Inc
In Bezug auf die Besteuerung stehen Vereinfachungen, z.B. im Hinblick auf Quellensteuer und Umsatzsteuer, und EU-weite Standards, z.B. hinsichtlich Steueranreizen bzw. -vergünstigungen, im Raum. Zudem wird vorgeschlagen, steuerliche Berichtspflichten zu zentralisieren und mit einem Austausch von Informationen zwischen den Finanzbehörden der betroffenen Mitgliedstaaten zu verbinden. Die Gewinne der EU-Inc sollen fair zwischen den jeweiligen Mitgliedstaaten nach einem faktorbasierten Schlüssel unter Berücksichtigung z.B. der Mitarbeiterzahl, der Vermögenswerte und der Umsätze, aufgeteilt werden. Das Zielbild ist ein transparentes und vorhersehbares Steuersystem.
Einbeziehung der Arbeitnehmer
Die bisherige Arbeitnehmermitbestimmung ist in den europäischen Ländern sehr unterschiedlich ausgestaltet und wird häufig als komplex, starr und bürokratisch wahrgenommen. Nichtsdestotrotz wurde es von den Initiatoren als wichtig angesehen, Arbeitnehmer*innen größenentsprechend inhaltlich mitzunehmen und bei Entscheidungen einzubeziehen und so eine kollaborative Kultur zu schaffen. Für die EU-Inc wird daher vorgeschlagen, dass ab bestimmten Schwellenwerten (Arbeitnehmeranzahl, Umsatzzahlen) Informations- oder Konsultationspflichten gegenüber Mitarbeiter*innen gelten. Ziel ist eine flexiblere Mitbestimmung, die auf Kooperation und Dialog statt auf starre Rechtspflichten ausgerichtet ist.
Ausblick
Ganz neu ist die Idee der Schaffung einer europäischen Rechtsform nicht, schließlich existiert eine solche bereits seit 2004 mit der SE. Der SE haftet allerdings die Schwerfälligkeit der nationalen Regelungen des jeweiligen Aktienrechts an. Es bleibt damit bei einer jeweils national geprägten SE. Die EU-Inc würde das Angebot um eine insbesondere für Start-ups wertvolle europäische Gesellschaftsform erweitern, pan-europäische Investitionen durch Standardisierung erleichtern und ermöglichen und passt zu anderen EU-Initiativen, wie z.B. der lang geplanten Kapitalmarktunion.
Könnte die EU-Inc also ernsthaft mit den etablierten mitgliedsstaatlichen und international anerkannten Gesellschaftsformen konkurrieren? Bei richtiger Umsetzung mit Sicherheit. Damit das geschehen kann, bedarf es jedoch eines Vertrauens- und Investitionsvorschusses durch das Verabschieden der entsprechenden Verordnungen, die Schaffung der benötigten Infrastruktur und die Einrichtung der oben beschriebenen Werkzeuge. EU-Staaten, die bisher zu den Gewinnern des Wettbewerbs der Gesellschaftsformen gehören, müssten sich ein Stück weit von ihren nationalen Champions lösen und Länder wie Deutschland, mit einem sehr starken Notariat, müssten sich, jedenfalls teilweise, zu einem digital first System bewegen, ohne dass Überregulierung den digitalen Ansatz wieder behindert und für die Praxis untauglich macht, wie es z.B. mit der elektronischen Beurkundung passiert ist. Gerade EU-FAST und EU-ESOP scheinen uns für eine europäische Lösung sehr geeignet. Die EU-Kommission hat das 28. Regime in ihre Start-up and Scale-up Strategie aufgenommen mit zeitlichem Umsetzungsziel in Q1 2026.
1 SWD(2025) 138 final as of 28 May 2025, S. 4, Abschnitt 2.1 und S. 55 Abschnitt 3.2.3.
2 research-and-innovation.ec.europa.eu/strategy/strategy-research-and-innovation/jobs-and-economy/eu-startup-and-scaleup-strategy_en, zuletzt abgerufen am 17.06.2025.
3 Final EU-Inc. Policy Proposal, S. 32: EU-Inc. Vs. Delaware Comparison
Kategorien